Garnetiketten entschlüsseln: Lauflänge, Zwirnung, Pflegepiktogramme und was wirklich zählt

Garnetiketten entschlüsseln: Lauflänge, Zwirnung, Pflegepiktogramme & was wirklich zählt

Du stehst vor dem Regal im Wollgeschäft. Links ein Knäuel: "50 g, 120 m, Nadelstärke 4-5". Rechts daneben: "50 g, 85 m, Nadelstärke 4-5". Gleiche Nadeln, gleiches Gewicht – aber irgendwie ahnt du, dass da ein wichtiger Unterschied lauert. Dazu kommen noch Symbole, die aussehen wie Hieroglyphen, Zahlen ohne Kontext und Abkürzungen, die niemand erklärt hat.

Die Garnbanderole ist dein Kompass für jedes Projekt – aber nur, wenn du sie richtig lesen kannst. Lass uns die geheimen Codes knacken und herausfinden, welche Infos wirklich wichtig sind und welche du getrost ignorieren kannst.

Gewicht & Lauflänge: Der entscheidende Unterschied

Warum Lauflänge wichtiger ist als Gewicht

Das Gewicht trügt: Zwei Knäuel mit 50 g können völlig unterschiedlich viel Garn enthalten. Der Grund liegt in der Garndicke.

Beispiel aus der Praxis:

  • Garn A: 50 g = 120 m (dünnes Garn)
  • Garn B: 50 g = 85 m (dickeres Garn)

Für einen Schal brauchst du 200 m Garn. Bei Garn A reichen 2 Knäuel (240 m), bei Garn B brauchst du 3 Knäuel (255 m). Das ist ein ganzes Knäuel Unterschied!

Die Faustregeln:

  • Hohe Lauflänge (über 300 m/100 g) = dünnes Garn
  • Mittlere Lauflänge (150-300 m/100 g) = Standardgarn
  • Niedrige Lauflänge (unter 150 m/100 g) = dickes Garn

Richtige Garnmenge berechnen

Schritt-für-Schritt-Berechnung:

  1. Projektverbrauch ermitteln: Anleitung sagt z.B. "600 m Garn"
  2. Lauflänge pro Knäuel ablesen: z.B. 125 m pro 50 g
  3. Division: 600 m ÷ 125 m = 4,8 Knäuel
  4. Aufrunden: 5 Knäuel bestellen
  5. Sicherheitsaufschlag: +1 Knäuel = 6 Knäuel total

Rechenbeispiel: Pullover braucht laut Anleitung 800 m.

  • Option A: 120 m/50g → 800 ÷ 120 = 6,7 → 7 Knäuel + 1 Sicherheit = 8 Knäuel
  • Option B: 85 m/50g → 800 ÷ 85 = 9,4 → 10 Knäuel + 1 Sicherheit = 11 Knäuel

Schnell erklärt: Garnetiketten in 2 Minuten verstehen

Lauflänge (z.B. 125m/50g): Wichtigster Wert für Garnverbrauch Nadelstärke (z.B. 4-5mm): Vorschlag, nicht Vorschrift – Maschenprobe entscheidet Maschenprobe (z.B. 18M x 24R): Richtwert für 10x10cm Probe Pflege-Symbole: Waschtemperatur, Trocknungsart, Bügelhinweise Partienummer: Für Nachkauf derselben Farbcharge wichtig

Nadelstärken-Empfehlung: Vorschlag, nicht Gesetz

Was die Zahlen bedeuten

Typische Angaben:

  • "3-4 mm": Empfohlener Bereich für Standardprojekte
  • "4,5 mm": Konkrete Empfehlung des Herstellers
  • "US 6": Amerikanische Nadelgrößen-Angabe

Warum es nur ein Vorschlag ist:

  • Deine Handschrift ist individuell (locker vs. fest)
  • Projekttyp erfordert verschiedene Maschendichten
  • Gewünschtes Ergebnis (locker-luftig vs. fest-stabil)

Maschenprobe bleibt Pflicht

Auch bei "passender" Nadelstärke:

  • Jeden Stricker/jede Häklerin arbeitet anders
  • Verschiedene Nadelmaterialien (Holz, Metall) beeinflussen das Ergebnis
  • Umgebungstemperatur und Stimmung ändern die Handschrift

Profi-Tipp: Probiere 2-3 verschiedene Nadelstärken im empfohlenen Bereich und wähle die mit dem besten Ergebnis.

Maschenprobe-Angaben verstehen

Wie man die Zahlen liest

Typische Angabe: "22 M × 30 R = 10 × 10 cm"

  • 22 M: 22 Maschen in der Breite
  • 30 R: 30 Reihen in der Höhe
  • 10 × 10 cm: Probengröße

Alternative Schreibweisen:

  • "18 sts × 24 rows" (englische Angabe)
  • "20M/28R in 10cm²"
  • "Gauge: 20 sts to 4 inches"

Warum die Werte nicht für jeden passen

Individuelle Faktoren:

  • Stricktechnik: Continental vs. English Style
  • Handfestigkeit: Entspannt vs. verkrampft
  • Nadelmaterial: Bambusnadeln vs. Metallnadeln
  • Garnqualität: Verschiedene Chargen können abweichen

Anpassung nötig:

  • Zu viele Maschen: Größere Nadeln verwenden
  • Zu wenige Maschen: Kleinere Nadeln verwenden
  • Niemals das Garn wechseln, um die Maschenprobe zu "korrigieren"

Zwirnung & Fadenaufbau: Mehr als nur Optik

Single-Ply vs. mehrfach gezwirnt

Single-Ply (einfädig):

  • Ein einziger Faden ohne Zwirnung
  • Weicher Griff, aber weniger haltbar
  • Neigt zum Splitten beim Stricken
  • Pillt stärker als gezwirnte Garne

Mehrfach gezwirnt:

  • 2-4 Einzelfäden zusammengedreht
  • Stabiler und haltbarer
  • Klare Maschenstruktur
  • Weniger Pillinggefahr

Auswirkungen auf dein Projekt

Für Amigurumi und Strukturmuster:

  • Gezwirnte Garne bevorzugen
  • Klarere Maschendefinition
  • Bessere Haltbarkeit bei Belastung

Für kuschelige Kleidung:

  • Single-Ply für weicheren Griff
  • Aber: Vorsicht bei stark beanspruchten Bereichen
  • Kompromiss: Gezwirnt für Bündchen, Single-Ply für Hauptteil

Pflegepiktogramme: Die Geheimsprache der Waschküche

Die 5 wichtigsten Symbole auf einen Blick

Waschen (Wasserbottich-Symbol)

  • 30°C im Symbol: Maximum 30 Grad Celsius
  • Strich unter dem Symbol: Schonwaschgang
  • Hand im Bottich: Nur Handwäsche
  • Durchgestrichener Bottich: Nicht waschbar

Bleichen (Dreieck)

  • Leeres Dreieck: Bleichen erlaubt
  • Dreieck mit Strichen: Nur Sauerstoffbleiche
  • Durchgestrichenes Dreieck: Nicht bleichen

Trocknen (Kreis im Quadrat)

  • Leerer Kreis: Trockner erlaubt
  • Punkt im Kreis: Niedrige Temperatur
  • Zwei Punkte: Normale Temperatur
  • Durchgestrichener Kreis: Nicht in Trockner

Bügeln (Bügeleisen-Symbol)

  • Ein Punkt: Niedrige Temperatur (bis 110°C)
  • Zwei Punkte: Mittlere Temperatur (bis 150°C)
  • Drei Punkte: Hohe Temperatur (bis 200°C)
  • Durchgestrichen: Nicht bügeln

Professionelle Reinigung (Kreis)

  • P im Kreis: Professionelle chemische Reinigung
  • W im Kreis: Professionelle Nassreinigung
  • Durchgestrichener Kreis: Keine professionelle Reinigung

Typische Missverständnisse

"Handwäsche bedeutet kaltes Wasser":

  • Falsch: Handwäsche-Symbol erlaubt meist bis 30°C
  • Richtig: Temperatur steht separat dabei oder ist durch Kontext klar

"Schonwaschgang ist wie Handwäsche":

  • Unterschied: Schongang hat weniger Bewegung, aber trotzdem Maschinenkraft
  • Vorsicht: Empfindliche Garne können trotzdem leiden

"Trockner-Symbol mit Punkt = niedrige Temperatur ist safe":

  • Risiko: Auch niedrige Hitze kann manche Garne beschädigen
  • Besser: Lufttrocknung bei wertvollen Stücken

Zusatzinfos auf Labels: Die Feinheiten

Partienummer & Farbcode

Partienummer (z.B. "Lot 4578", "DL 892"):

  • Gleiche Partie = identische Farbe garantiert
  • Verschiedene Partien können minimale Farbunterschiede haben
  • Für Nachkauf unbedingt notieren

Farbcode (z.B. "Col. 0105", "#23"):

  • Herstellereigene Farbbezeichnung
  • Bleibt über Jahre gleich, Partien wechseln
  • Hilfreich bei Garnersatz oder späteren Projekten

Materialzusammensetzung

Prozentangaben verstehen:

  • "75% Schurwolle, 25% Polyamid": Hauptfaser + Verstärkung
  • "100% Baumwolle": Keine Zusätze, natürliche Eigenschaften
  • "50% Wolle, 30% Acryl, 20% Polyamid": Mischung für spezielle Eigenschaften

Reihenfolge wichtig:

  • Erste Faser hat höchsten Anteil
  • Letzte Faser meist Zusätze für Verstärkung oder Elastizität

Zertifikate und Siegel

OEKO-TEX Standard 100:

  • Schadstoffprüfung aller Komponenten
  • Hautfreundlichkeit bestätigt
  • Besonders wichtig bei Babysachen

GOTS (Global Organic Textile Standard):

  • Bio-Qualität der Rohstoffe
  • Umwelt- und sozialverträgliche Herstellung
  • Strenge Auflagen für gesamte Lieferkette

Mulesing-frei:

  • Tierschutz-Siegel für Schafwolle
  • Keine schmerzhaften Verstümmelungen bei Schafen
  • Ethische Wollproduktion

Praxisbeispiel: Banderole Schritt für Schritt

Beispiel-Etikett entschlüsseln

Fiktive Banderole:

Merinowolle Classic
50g / 125m
75% Schurwolle, 25% Polyamid
Nadelstärke: 4-4,5 mm
Maschenprobe: 18M × 24R = 10×10cm
Col. 0245 / Lot DL4578
[Waschsymbol 30°C] [Handwäsche] [Nicht bleichen] 
[Lufttrocknung] [Nicht bügeln]
OEKO-TEX Standard 100

Schritt-für-Schritt-Analyse:

  1. "Merinowolle Classic": Produktname, hilft bei Nachbestellung
  2. "50g / 125m": Standard-Knäuelgröße mit mittlerer Lauflänge (DK-Gewicht)
  3. "75% Schurwolle, 25% Polyamid": Wolle mit Verstärkung, ideal für Socken
  4. "Nadelstärke 4-4,5mm": Mittlere Nadelstärke, Maschenprobe entscheidet
  5. "18M × 24R": Relativ lockere Maschenprobe für entspanntes Stricken
  6. "Col. 0245 / Lot DL4578": Farbe und Partie für späteren Nachkauf notieren
  7. Pflegesymbole: Schonend waschen, nicht bleichen, lufttrocknen
  8. "OEKO-TEX": Schadstoffgeprüft, hautfreundlich

Was das für dein Projekt bedeutet

Für Socken: Perfekt durch Polyamid-Verstärkung Für Pullover: Gut, aber Maschenprobe für Passform wichtig Für Babysachen: Durch OEKO-TEX geeignet Für Allergiker: Wolle kann problematisch sein

Typische Fehler beim Etiketten-Lesen

Fehler 1: Nur aufs Gewicht schauen

Das Problem: "Ich brauche 300g Garn für den Pullover" Warum falsch: 300g können 375m oder 900m sein, je nach Garndicke Richtig: Nach Lauflänge kalkulieren, dann in Gewicht umrechnen

Fehler 2: Nadelstärke als Gesetz betrachten

Das Problem: "Steht 4mm drauf, also nehme ich 4mm" Warum riskant: Deine Handschrift passt vielleicht nicht Richtig: Maschenprobe mit verschiedenen Größen testen

Fehler 3: Partienummer ignorieren

Das Problem: "Hauptsache gleiche Farbe und Marke" Spätere Überraschung: Sichtbare Farbunterschiede im fertigen Projekt Richtig: Partienummer notieren und bei Nachkauf angeben

Fehler 4: Pflegesymbole übersehen

Das Problem: "Wolle ist Wolle, kann ich wie immer waschen" Böse Überraschung: Projekt schrumpft oder filzt Richtig: Symbole vor dem ersten Waschen studieren

Die wichtigsten Etiketten-Infos nach Projekttyp

Für Kleidung

  1. Lauflänge (Verbrauchsberechnung)
  2. Pflegesymbole (Alltagstauglichkeit)
  3. Materialzusammensetzung (Tragekomfort)
  4. Maschenprobe (Passform)

Für Accessoires

  1. Lauflänge (meist weniger kritisch)
  2. Nadelstärke (für gewünschte Optik)
  3. Zwirnung (Haltbarkeit)
  4. Farb-/Partienummer (bei Sets wichtig)

Für Babysachen

  1. Zertifikate (Hautverträglichkeit)
  2. Pflegesymbole (häufiges Waschen)
  3. Materialzusammensetzung (Allergiepotential)
  4. Lauflänge (für Kostenplanung)

Kurz-Checkliste: Was du wirklich beachten musst

  • [ ] Lauflänge pro 100g für Verbrauchsberechnung notieren
  • [ ] Partienummer aufschreiben für späteren Nachkauf
  • [ ] Pflegesymbole fotografieren oder notieren
  • [ ] Materialzusammensetzung bei Allergien/Unverträglichkeiten prüfen
  • [ ] Nadelstärke als Ausgangspunkt nehmen, aber Maschenprobe machen
  • [ ] Zertifikate bei besonderen Anforderungen (Baby, Allergie) beachten
  • [ ] Maschenprobe-Angaben als Richtwert verstehen
  • [ ] Garnmenge großzügig kalkulieren (10-15% Aufschlag)

Häufige Fehler vermeiden

  • [ ] Gewicht statt Lauflänge als Kalkulationsbasis verwenden
  • [ ] Partiennummer ignorieren und später Farbunterschiede beklagen
  • [ ] Nadelstärke blind folgen ohne eigene Maschenprobe
  • [ ] Pflegehinweise übersehen und Projekt beim ersten Waschen ruinieren
  • [ ] Zu knapp kalkulieren und ohne Sicherheitsaufschlag kaufen
  • [ ] Maschenprobe-Werte als Garantie statt als Richtwert verstehen
  • [ ] Etiketten wegwerfen bevor das Projekt fertig ist

FAQ: Die häufigsten Fragen zu Garnetiketten

Warum haben zwei gleich schwere Knäuel unterschiedliche Lauflängen? Die Garndicke entscheidet: Dünneres Garn hat mehr Meter pro Gramm als dickeres Garn.

Muss ich mich genau an die Nadelstärken-Empfehlung halten? Nein, es ist nur ein Vorschlag. Deine Maschenprobe entscheidet über die optimale Nadelgröße.

Was passiert, wenn ich Garne verschiedener Partien mische? Minimale Farbunterschiede sind möglich. Bei großen Projekten können sichtbare Streifen entstehen.

Bedeutet "Handwäsche" immer kaltes Wasser? Nein, meist ist Handwäsche bis 30°C erlaubt. Die Temperatur steht separat auf dem Etikett.

Kann ich die Maschenprobe-Angaben ignorieren? Nicht empfehlenswert. Sie geben dir eine Vorstellung vom Garnverhalten und der benötigten Menge.


Speichere dir die Checkliste fürs nächste Wollgeschäft und lass dich nie wieder von kryptischen Etiketten verwirren!

Du möchtest noch mehr über Garne erfahren? Lies auch unsere Artikel über Partienummern beim Garnkauf und warum manche Garne beim Waschen schrumpfen.